Round Table Gespräch vom 24.04.2018

Kulturlandschaft Altes Land

Chancen und Risiken für eine nachhaltige Entwicklung

Wirtschaft, Tourismus, Verkehr

Mehr als 40 Teilnehmer aus dem Alten Land folgten der gemeinsamen Einladung des „Vereins für die Anerkennung des Alten Landes zum Welterbe der UNESCO e.V.“ und der Bürgerinitiative „Verkehrsflut“ zum Round Table Gespräch am 24.04.2018. In der besonderen Atmosphäre des Gemeindehauses Borstel – einem sorgfältig restaurierten Baudenkmal – trafen sich Kreistagsabgeordnete, Kommunalpolitiker, Mitglieder und Vertreter von Interessenverbänden, Vereinen und anderen Einrichtungen des Alten Landes.

Für das leibliche Wohl wurde gesorgt.

Einstimmung durch „Impulsvorträge“  *1

Kurze Einführungsvorträge legten die Grundlage für die Diskussion. Einen groben „Denkrahmen“ stellte Moderator Hartmut Fuchs vor: Angesichts der Herausforderungen, denen sich das Alte Land aktuell und in der Zukunft ausgesetzt sieht, reiche ein isoliertes „Klein-klein“ in Einzelfragen nicht, das Motto „Global Denken – lokal Handeln“ habe auch hier Aktualität.

Kerstin Hintz, Vorsitzende des „Welterbe“-Vereins, skizzierte die Entwicklung der einzigartigen Hollerlandschaft über die Jahrhunderte. Die ursprünglichen Siedlungsformen und Verkehrswege seien nach wie vor erkennbar. Sie arbeitete insbesondere die neue Qualität der Bedrohungen und Risiken im letzten Jahrzehnt heraus, durch die die Dringlichkeit des Schutzes für das Alte Land dramatisch zugenommen habe.

Kerstin Hintz spricht über die Bedeutung des Weltkulturerbes.

Stephan Bergmann, Geschäftsführer des Tourismusvereins, erläuterte die Wahrnehmung der Entwicklung im Alten Land durch die Tourismusbranche und die Touristen in positiver und negativer Hinsicht. Zu den negativen Wahrnehmungen der Touristen gehöre an prominenter Stelle der Schwerlastverkehr. Er betonte, wie wichtig im Zeitalter der sozialen Medien und der zahlreichen Feedbackmöglichkeiten für die Kunden ein fundiertes positives Image sei und wie schnell es „abrutschen“ könne. Dies sei ein hohes Risiko mit großer Hebelwirkung, denn der Tourismus im Landkreis Stade liege mit gut 280 Mio. € pro Jahr als Wirtschaftsfaktor mit dem Obstbau im Alten Land nahezu gleichauf.

Thema Tourismus vorgetragen von Stephan Bergmann.

Ernst-Otto Schuldt erläuterte für die BI „Verkehrsflut“ die wichtigsten Fakten und Faktoren rund um den Transit-LKW-Verkehr. Mit Zahlen und Fakten belegte er, mit welcher Massivität der LKW-Transit-Verkehr auf die sensible Infrastruktur des Alten Landes wirkt. Er stellte dar, welche Rahmenbedingungen und Möglichkeiten bestehen, um diesen Verkehr aus dem Alten Land fernzuhalten.

BI-Verkehrsflut über den Schwerlast-Transitverkehr

Rege Diskussion im Round Table

Im intensiven Gespräch brachten die Teilnehmer verschiedene Blickwinkel und vertiefende Aspekte ein.

Der Themenkomplex Verkehr wurde in verschiedenen Facetten behandelt:

  • LKW-Verkehrsaufkommen: LKW-Quell-Verkehr ist nicht gleich LKW-Transit-Verkehr, eine differenzierte Sicht ist wesentlich: 350.000 Tonnen Obst müssen pro Jahr hinaus aus dem Alten Land transportiert werden – deshalb muss es eine dauerhafte Ausnahmegenehmigung von Gewichtsbeschränkungen für Anlieger geben. Aber: 350.000 Tonnen Mülltransporte pro Jahr von Bützfleth nach Hamburg, damit in diesem internationalen Geschäft die MVA Hamburg ausgelastet ist: das ist LKW-Transit-Verkehr, und der gehört nicht ins Alte Land. Es wurde angeregt, zusätzliche intelligente Ausnahmen für im Alten Land ansässige Betriebe zu finden, um Wege abkürzen zu können und so die Wegebelastung auch im Quellverkehr zu reduzieren.

  • Polderlandschaft, Marschboden: Der Untergrund im Alten Land ist grundsätzlich für die Belastung durch Schwerverkehr ungeeignet, er ist formbar, „plastisch“ – dieser grundlegenden Auffassung der BI Verkehrsflut wird zugestimmt. Auch die Sanierung der K39 konnte nicht wirklich sachgerecht ausgeführt werden, weil der „plastische“ Untergrund immer eine besondere Behandlung erfordert.

  • Widmung von Straßen: Die Änderung der Widmung der Straßen, also Änderung der Tonnage mit Ausnahme für Anlieger, ist eine gute Möglichkeit zur Lösung des Problems, dadurch würde der Abrieb der Straßen erheblich vermindert. Die Frage, warum der Landkreis die Widmung der Kreisstraßen nicht entsprechend anpasst, beantwortet sich bisher mit der ablehnenden Haltung der Verkehrsdezernentin Frau Streitz. Im Round Table war die Meinung einmütig: Wieso entscheidet eigentlich die Verwaltung und nicht die Politik? Und: die Motivation für eine ablehnende Haltung sei vermutlich die „Angst vor Klagen vor Gericht“ – aber: wieso soll man es nicht darauf ankommen lassen? Eine entschlossene Haltung der Politik ist deshalb vonnöten.

  • Investitionen und Kontrollen: Der Investitions-Rückstand in Bezug auf Straßen im Landkreis beträgt insgesamt 200 Mio €. Im Jahresetat 2018 sind 5 Mio € angesetzt, diese werden im Wesentlichen in die K39 investiert. Eine wichtige Frage ist also: Wie kann man künftige Schäden verhindern? Es bestand Einigkeit, dass zusätzlich zur Tonnage-Begrenzung für die Einhaltung von Geschwindigkeiten Kontrollen unentbehrlich sind; zur Einhaltung der Tonnage-Begrenzung wären Gewichtskontrollen erforderlich. Der Polizei fehlen – wegen zahlreicher anderer Aufgaben – die Kapazitäten für ausreichende Geschwindigkeitskontrollen, deshalb sollte die Zuständigkeit für diese Kontrollen z.B. auf den Landkreis verlagert werden (was durchaus möglich ist). Für Gewichtskontrollen hat der Landkreis nicht das erforderliche Gerät, auch das lässt sich ändern. Das Aufstellen von Schildern allein reicht nicht – regelmäßige und wirksame Kontrolle gehört unbedingt dazu.

  • Verkehrskonzept: Es ist erforderlich, den Komplex Verkehr „breiter“ zu denken – zusätzlich zu der LKW-Transit-Problematik muss auch der Personenverkehr gesehen werden. Ein Ausbau des ÖPNV ist erforderlich, statt Straßensanierung ist eine veränderte Investitionspolitik erforderlich: Eine deutlich bessere Anbindung durch eine leistungsfähige Infrastruktur für Pendler ist notwendig, ein dichteres Busnetz im Alten Land mit höheren Taktraten – dies würde auch den Individualverkehr reduzieren.

  • Handlungsoptionen: ein Teilnehmer illustrierte die Situation: Aktuell bei seiner heutigen Anfahrt zur Veranstaltung seien ihm 37 LKW auf der Strecke UFI bis Steinkirchen begegnet, die meisten davon nicht aus der Region. Unterstrichen wurde die Dringlichkeit einer aktiven fraktionsübergreifenden Initiative der Kreistagsabgeordneten aus dem Alten Land.

Die generellen Herausforderungen, Chancen und Risiken nahmen ebenfalls einen großen Raum ein:

  • Landschaftbild: Touristen sagen enttäuscht: „Hier sieht es ja fast aus wie bei uns zu Hause“ -sie hatten eine besondere Landschaft erwartet, stattdessen treffen sie auf eine „moderne“ Wirklichkeit, die durch Zersiedlung und wenig landschaftstypische Neu-Bebauung geprägt ist. Das „alte“ Alte Land sei nicht mehr zu erkennen, der historische Baubestand werde immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Auf dem Hintergrund der Bewerbung zum Weltkulturerbe wurden in diesem Zusammenhang auch Neubaugebiete wie in Steinkirchen Hinter der Feuerwache kritisch angesprochen.

  • Vorhandene Konzepte und Pläne: Es gibt eine Reihe von Konzepten, die die Bewahrung der Besonderheiten des Alten Landes unterstützen, u.a. die Baufibel. Auch im Regionalen Raumordnungsprogram (RROP) des Landkreises Stade sind eine Reihe von Aussagen für das Alte Land enthalten. Die Zusammenführung und die Sicherstellung der Wirksamkeit dieser vorhandenen Konzepten zu einer verbindliche Grundlage für Entscheidungen auch auf kommunaler Ebene wäre ein konsequenter erster Schritt.

  • Entwicklungsperspektive: Es bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass eine mittelfristige Vision und eine ganzheitliches Entwicklungskonzept für das Alte Land nicht besteht, dass diese jedoch erforderlich sind, um den Risiken zu begegnen und die Chancen für eine nachhaltige Entwicklung zu formulieren und zu nutzen. Unter anderem wurde angeregt, die Idee eines „Regionalmanagements“ für das Alte Land wieder aufzugreifen. Eine solche Einrichtung könnte eine integrierte Sicht auf die vier Sektoren Obstbau, Tourismus, Kulturerbe und Verkehr fördern, auf die politischen Willensbildungsprozesse Einfluss nehmen und Entscheidungen einfordern.

  • Das Alte Land als Ganzes und in seiner Tradition: Bei der Entwicklung von Perspektiven müssen unbedingt, so die Teilnehmer, beide Teile des Alten Landes, der niedersächsische und der hamburgische, einbezogen werden. Es sei ein Gebot der Stunde, sich wieder auf die selbstbewussten Traditionen der Altländer als freie Bauern zu besinnen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und sich auch gegen widrige äußere Einflüsse behaupten.

Die „Stimme des Alten Landes“ – Konkrete Aktivitäten angestoßen und vereinbart

Gegen Ende des Gesprächs waren die Teilnehmer sich – trotz einiger unterschiedlicher Sichtweisen in Einzelfragen – einig: der Austausch in einer solchen Runde ist gut. Es besteht aber auch Bedarf, im Alten Land verstärkt und selbstbewusst tätig zu werden, um eine starke eigene Stimme zu formulieren und gegenüber der „Außenwelt“ zu vertreten. Dieser Gedanke entwickelte sich weiter zu konkreten Ergebnissen:

Ideenwerkstatt Altes Land“ und Zukunftskonzept

Obstbau + Tourismus + Kulturlandschaft + Verkehr – diese vier Sektoren müssen gemeinsam „gedacht“ werden – ein ganzheitliches Zukunftskonzept für als Alte Land wäre dafür eine geeignete Grundlage. Denn die Herausforderungen, Chancen und Risiken in diesen vier Sektoren sind nur verschiedene Seiten derselben Medaille. Zur Erarbeitung eines solchen Konzepts wurde angeregt, eine entsprechende Organisationsform für eine „Ideenwerkstatt Altes Land“ – so der Arbeitstitel – einzurichten. Es blieb nicht nur bei der Absichtserklärung: Es bildete sich eine Gruppe von Initiatoren, die diese Initiative nun weiter entwickeln wird.

Politische Initiative zum LKW-Transit-Verkehr“ im Kreistag

Die anwesenden Kreistagsabgeordneten aus dem Alten Land erklärten ihre Bereitschaft, zum Thema „Transit-LKW-Verkehr“ eine gemeinsame Aktivität zusammen mit der BI Verkehrsflut zu entwickeln, mit der Absicht, das Anliegen gemeinsam im Kreistag und seinen Ausschüssen zu thematisieren und eine entsprechende Entscheidung herbeizuführen. Die BI Verkehrsflut koordiniert einen ersten Termin.

Im Anschluss an den offiziellen Teil wurde in kleinen Runden weiterdiskutiert. Die Veranstalter zogen den Schluss: Dieser Round Table war wirklich eine runde Sache!

Veranstaltungsort im restaurierten Gemeindehaus der Kirchengemeinde Borstel

Presse

Das Stader Tageblatt berichtete von diesem Treffen in seiner Ausgabe vom 28.04.2018


*1 Die oben erwähnten Impulsvorträge sind hier nachzulesen.